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Einleitung in das Neue Testament II Evangelien und Apostelgeschichte Sommersemester 2010 1
Einleitung in das Neue Testament II Evangelien und Apostelgeschichte Übersicht I § 1 Hinführung zu den Evangelien I. Die historische Voraussetzung der Evangelien: Das Wirken des Jesus von Nazareth Die Botschaft vom Reich Gottes Das Ende in Jerusalem § 2 § 3 II. § 4 § 5 III. § 6 § 7 Die theologische Voraussetzung der Evangelien: Ostern als Ausgangspunkt und Mitte des urchristlichen Bekenntnisses Von der Glaubenskrise des Karfreitags zu den Erscheinungen Vom Boten zur Botschaft Die überlieferungsgeschichtliche Voraussetzung der Evangelien: Die mündliche Weitergabe von Jesu Worten und Taten Mündliche Überlieferung Gattungen in der Jesus-Überlieferung 2
Einleitung in das Neue Testament II Evangelien und Apostelgeschichte Übersicht II IV. § 8 § 9 § 10 § 11 § 12 Die literarische Voraussetzung der synoptischen Evangelien: Die synoptische Frage und ihre Lösung Das Problem Ältere Lösungsversuche Die Zwei-Quellen-Theorie Die Logienquelle Offene Fragen zur Zwei-Quellen-Theorie V. § 13 § 14 § 15 § 16 § 17 Die synoptischen Evangelien und die Apostelgeschichte Die literarische Gattung Evangelium Das Markusevangelium Das Matthäusevangelium Das Lukasevangelium Die Apostelgeschichte VI. § 18 § 19 § 20 Das Johannesevangelium Die Eigenart des Joh. Ev Einleitungsfragen Theologische Themen 3
Einleitung in das Neue Testament II Evangelien und Apostelgeschichte „Gottesherrschaft/Gottesreich“ in AT und Frühjudentum Bei Deutero-Jesaja, einem Propheten zur Zeit des Exils, treten zwei Momente hervor: Jahwe erscheint als König Israels, Gottes Königsherrschaft wird offenbar werden in der Erlösung seines Volkes. Die weitere Entwicklung kann man etwas vereinfachend in zwei Strängen verfolgen: • Einverständnis mit dem status quo, in dem sich die prophetische Verkündigung vor dem Exil erfüllt hat. Gott herrscht gegenwärtig als König über sein Volk, erfahrbar wird diese Herrschaft vor allem im Kult am Tempel, dem Ort der Gegenwart Gottes. • Die Königsherrschaft Gottes ist erst für die Zukunft zu erwarten. Greifbar ist dieser Strang in Einträgen in Prophetenbücher (z. B. Jes 33; 24 -27). Er mündet in die Apokalyptik, in der die Gottesherrschaft unterschiedlich entfaltet werden kann. Folgende Zusammenhänge lassen sich nennen: - Entmachtung Satans, - endzeitlicher Krieg mit Vernichtung heidnischer Fremdherrschaft, - Sammlung Israels und Übergabe der Herrschaft in Israel, - Kommen einer neuen Welt, diesseitig oder transzendent vorgestellt 4
Einleitung in das Neue Testament II Evangelien und Apostelgeschichte Grundlegende Dimensionen der Basileia in Jesu Botschaft Der Zuspruch der Gottesherrschaft Die Durchsetzung von Gottes Herrschaft in der Welt beschreibt Jesus als heilvolle, liebende Zuwendung Gottes zu den Menschen, als göttliches Gnadenangebot. Die Zuwendung zu Sündern ist in diesem theologischen Zusammenhang zu verstehen: als Zusage der Vergebung Gottes (Mk 2, 13 -17). Der Anspruch der Gottesherrschaft Aus der Annahme durch Gott ergibt sich als Konsequenz die Notwendigkeit der Umkehr. Diese steht nicht an erster Stelle, ist aber dennoch wesentlich: Man kann nicht die Vergebung Gottes annehmen und das Verhältnis zu den Menschen davon unberührt sein lassen. 5
Einleitung in das Neue Testament II Evangelien und Apostelgeschichte Heil und Gericht Zwar setzt Jesus den Akzent der Basileia-Botschaft eindeutig auf das Heil und nicht wie Johannes der Täufer auf die Gerichtsdrohung. Dennoch ist auch die Möglichkeit, das Heil zu verfehlen, nicht auszuschließen (z. B. Mt 18, 23 -35; Lk 19, 12 -27 par; Mt 5, 25 fpar; Mk 9, 43. 45. 47). Das Gericht kommt in zwei Dimensionen zum Tragen: • im Zusammenhang verweigerter Umkehr. • als Kehrseite des Heilsangebotes: Wer sich diesem Angebot verweigert, zieht sich das Gericht zu, schließt sich aus von der Rettung durch Gott; Die zeitliche Dimension: Gegenwart und Zukunft • Einerseits reicht das Gottesreich in die Gegenwart Jesu und seiner Adressaten: Lk 11, 20; s. a. Mk 3, 27; Lk 10, 23 f; 16, 16; „Wachstumsgleichnisse“; Lk 17, 20 f). • Andererseits ist die Basileia eine künftige Größe (Lk 11, 2; 6, 20 f; 13, 28 f; Mk 14, 25; die „Terminworte“ sind wohl nachösterlicher Herkunft) • Beide Dimensionen gehören in Jesu Botschaft: das Reich Gottes ist angebrochen und drängt auf baldige Vollendung. Ein „uneschatologischer“ Lehrer einer alternativen (Lebens-)Weisheit ist Jesus nicht gewesen. Man muss auch das Moment einer von Gott gewirkten Veränderung der Welt aufnehmen (auch wenn wir über genauere Vorstellungen Jesu über die vollendete Gestalt der Basileia nichts wissen können). 6
Einleitung in das Neue Testament II Evangelien und Apostelgeschichte Die Adressaten der Botschaft Jesu • Die israelzentrierte Perspektive wird im Wirken Jesu nicht grundsätzlich überschritten. Jesus wirkt nicht unter Heiden und richtet seine Botschaft nicht an sie. - Wenn Jesus über die Grenzen des Landes Israel hinaus gewirkt hat, dann hat er sich wahrscheinlich an die im Umfeld Galiläas lebende jüdische Bevölkerung gewandt. Die Erzählung von der syrophönizischen Frau in Mk 7, 24 -30 bezeugt die grundsätzlich gegebene Ausrichtung auf Israel: Erst die Hartnäckigkeit der Frau bringt Jesus von der Verweigerung ihrer Bitte gegenüber ab. - Offensichtlich standen in der Urkirche keine Traditionen zur Verfügung, nach denen Jesus seine Botschaft vorbehaltlos an Heiden gerichtet hätte: In der Heidenmission treibenden Bewegung wären sie sicher nicht verloren gegangen. - Auch sind die Auseinandersetzungen um die Möglichkeit der Heidenmission in der Urkirche besser zu verstehen, wenn man nicht davon ausgeht, dass bereits Jesus einen deutlichen Impuls in diese Richtung gesetzt hat. • Dennoch kann in einer bestimmten Hinsicht die Öffnung der Basileia für die Heiden in den Blick kommen: als Mahnung an Israel, sich dem Heilsangebot nicht zu verweigern (vgl. Lk 13, 28 fpar; 14, 16 -25 par). 7
Einleitung in das Neue Testament II Evangelien und Apostelgeschichte Der Konflikt in Jerusalem Der Zug nach Jerusalem • Nach der Darstellung der Evangelien ist Jesus im Wissen um das bevorstehende Leiden nach Jerusalem gezogen. • Dies ist deutlich der Perspektive der Rückschau verdankt, der es vor allem um die Übereinstimmung mit dem Bekenntnis zu Christus geht. • In historischer Sicht ist zu berücksichtigen, - dass die Ostertraditionen nicht den Eindruck vermitteln, die Jünger seien auf die Passionsereignisse vorbereitet gewesen; - dass der Zug nach Jerusalem in das historische Bild vom Wirken Jesu eingeordnet werden muss. In diesem Rahmen kann es nur eine Erklärung für den Zug nach Jerusalem geben: Jesus wollte seine Botschaft ins Zentrum des jüdischen Volkes tragen und möglichst viele Menschen erreichen – deshalb der Termin des Paschafestes, zu dem sich viele Pilger in der heiligen Stadt versammelten. 8
Einleitung in das Neue Testament II Evangelien und Apostelgeschichte Warum wurde Jesus verhaftet? • Eine Beteiligung der jüdischen Obrigkeit bei der Verhaftung Jesu legt sich nahe, wenn man bedenkt: Jesus wurde als Einzelner festgesetzt. Es kam nicht zu einem Aufruhr, gegen den römischen Truppen unmittelbar vorgegangen wären. • Es empfiehlt sich nicht, ordnungspolitische gegen religiöse Motive auszuspielen. Die öffentliche Ordnung hing wesentlich mit religiösen Vorstellungen zusammen. • Unwahrscheinlich als Ansatzpunkte für die Verhaftung Jesu: – Die Gottesreichbotschaft Jesu im Ganzen, denn: das Vorgehen gegen Jesus spricht nicht dafür, dass Jesus nach dem Muster endzeitlicher Propheten als Störer der öffentlichen Ordnung verfolgt und dingfest gemacht wurde. – Prophetische Zeichenhandlungen (Einzug in Jerusalem; Tempelaktion), denn diese sind historisch unwahrscheinlich, hätten zum sofortigen Ende des Wirkens Jesu führen müssen. • Am ehesten gab es einen Konflikt um den Tempel, denn: – Tempelwort (Mk 14, 58; 15, 29) und -prophetie (Mk 13, 2) geben dafür einen Anhaltspunkt in der Jesustradition. – Eine endzeitlich begründete Distanz zum Tempel passt in die Verkündigung Jesu (Zusage göttlicher Vergebung ohne Bezug zum Sühnekult). – Der Tempel ist ein ordnungspolitisch relevanter Faktor und zugleich für die Priester von grundlegender theologischer Bedeutung. Ihr Eingreifen gegen Jesus aufgrund einer „Tempelkritik“ wäre verständlich. 9
Einleitung in das Neue Testament II Evangelien und Apostelgeschichte Ostern I – Die Situation nach dem Karfreitag • Der Tod bedeutete zunächst einmal die Erledigung des Anspruches Jesus hatte in anstößiger Weise die Kenntnis des göttlichen Heilswillens für sich reklamiert, deshalb musste der Tod Jesu am Kreuz als Antwort Gottes auf diesen Anspruch verstanden werden. Jesus starb nicht für die Heiligkeit des Gesetzes, sondern als „Kritiker“ des bestehenden Tempels. Auch seine umstrittene Auslegung der Tora musste vom Kreuz her als widerlegt erscheinen. • Waren die Gegner Jesu in ihrem Gottesverständnis bestätigt, so wurden die Jünger durch den Karfreitag in die äußerste Glaubenskrise geführt. Dass sie angesichts der Verhaftung Jesu flohen (Mk 14, 50), ist historisch wahrscheinlich. 10
Einleitung in das Neue Testament II Evangelien und Apostelgeschichte Ostern II - Die Überwindung der Glaubenskrise • Die Jünger Jesu treten einige Zeit nach dem Karfreitag wieder öffentlich auf und verkünden: Gott hat Jesus nicht verflucht, sondern sich zu ihm gestellt, indem er ihn auferweckt und in himmlische Machtstellung eingesetzt hat; vom Himmel her wird Jesus Mittler des vollendeten Heils erscheinen. • Zu dieser Verkündigung kamen die Jünger nach dem Zeugnis des NT durch Erscheinungen. In diesem Begriff ist eine Erfahrung gefasst, die Jünger nach dem Karfreitag gemacht haben. Diese Erfahrung wird nicht beschrieben, sondern in gedeuteter Form weitergegeben. Wenn nämlich davon die Rede ist, dass Jesus den Jüngern erschien, ist Begrifflichkeit aus atl Erzählungen aufgegriffen, in denen Gott sichtbar und redend auftritt (so genannte Theophanien). Wenn dies auf Jesus übertragen wird, ist seine Einsetzung in göttliche Macht vorausgesetzt – und dies gehört ja zum Kern des österlichen Bekenntnisses. • Die Erscheinungen begründen nicht nur den Osterglauben, sondern führen auch zur erneuten Sammlung des Jüngerkreises und zur Verkündigung des neu gewonnenen Glaubens. Dieser Zusammenhang zeigt sich bei Paulus wie auch in den Erscheinungsgeschichten der Evangelien. 11
Einleitung in das Neue Testament II Evangelien und Apostelgeschichte Ostern III – Ein Perspektivenwechsel Jesus selbst hatte nicht seine Person zum Inhalt seiner Botschaft gemacht. Ihm ging es wesentlich um eine bestimmte Gottesverkündigung. Insofern vollzieht sich mit Ostern ein bedeutsamer Perspektivenwechsel, den man sich gut an Apg 10, 37 -43 verdeutlichen kann. Zunächst erfolgt ein Rückblick auf das Wirken Jesu, seinen Tod, seine Auferweckung und die Erscheinungen: 37 (Ihr kennt) die Sache, die, angefangen von Galiläa, durch ganz Judäa hin geschehen ist, nach der Taufe, die Johannes predigte: 38 Jesus von Nazareth, wie Gott ihn mit Heiligem Geist und mit Kraft gesalbt hat, der umherging und wohltat und alle heilte, die von dem Teufel überwältigt waren; denn Gott war mit ihm. 39 Und wir sind Zeugen alles dessen, was er sowohl im Lande der Juden als auch in Jerusalem getan hat; den haben sie auch umgebracht, indem sie ihn an ein Holz hängten. 40 Diesen hat Gott am dritten Tag auferweckt und ihn sichtbar werden lassen, 41 nicht dem ganzen Volk, sondern den von Gott zuvor erwählten Zeugen, uns, die wir mit ihm gegessen und getrunken haben, nachdem er aus den Toten auferstanden war. 12
Einleitung in das Neue Testament II Evangelien und Apostelgeschichte Der nachösterliche Verkündigungsauftrag richtet sich auf die Bedeutung der Person Jesu (10, 42 f), nicht etwa auf die Wiederholung von Jesu Botschaft. 42 Und er hat uns befohlen, dem Volk zu predigen und ernstlich zu bezeugen, dass er der von Gott verordnete Richter der Lebenden und der Toten ist. 43 Diesem geben alle Propheten Zeugnis, dass jeder, der an ihn glaubt, Vergebung der Sünden empfängt durch seinen Namen. 13
Einleitung in das Neue Testament II Evangelien und Apostelgeschichte Ostern IV – Zur Rekonstruktion der frühesten Verkündigung Aus den Paulusbriefen lässt sich formelhaftes, geprägtes Glaubensgut herausarbeiten. Von Bedeutung ist dieses Vorgehen, weil in Kurzformeln das Wichtigste gefasst wird. Deshalb können wir aus diesen geprägten Formulierungen auch auf das Zentrum der urchristlichen Botschaft schließen. Geprägte Überlieferung ist erkennbar, wenn eines oder mehrere der folgenden Kriterien angewandt werden kann: • Einleitende Wendungen kennzeichnen ein Stück als übernommenes Traditionsgut (z. B. 1 Kor 15, 3). • Spezifische Begriffe erscheinen, die kennzeichnend sind für Traditionsgut („glauben“ und „bekennen“; z. B. Röm 10, 9). • Eine Formanalyse erweist eine geprägte Sprache (z. B. Parallelismus: Röm 4, 25; rhythmische Prägung: 1 Tim 3, 16). • Es begegnet ein für den Autor untypischer Wortschatz (z. B. Röm 3, 25). • Es ergibt sich eine Spannung zur sonstigen Theologie eines Autors (z. B. Röm 1, 3 f). • Eine Wendung erscheint in verschiedenen Zusammenhängen (z. B. Röm 10, 9; 1 Kor 6, 14; Eph 1, 20: „Gott hat ihn von den Toten erweckt“). • Die Aussagen eines Stückes gehen über den Textzusammenhang hinaus, in dem es steht (z. B. Phil 2, 6 -11). 14
Einleitung in das Neue Testament II Evangelien und Apostelgeschichte Ostern V – Das Zentrum der urchristlichen Verkündigung Glaubensformeln 1. Von der Auferweckung • passivische Formulierung: „er ist auferweckt worden“ (Röm 4, 25; 6, 4. 9. ; 1 Kor 15, 12 f u. ö. : theologisches Passiv). • aktivische Formulierung: „Gott hat ihn von den Toten erweckt“ (Röm 10, 9; 1 Kor 6, 14; 1 Thess 1, 10 b; Apg 2, 24 u. ö. ), auch als Gottesprädikation: Gott wird als derjenige bestimmt, der Jesus von den Toten auferweckt hat (z. B. Gal 1, 1). Dabei kann die ausdrückliche Nennung Gottes auch fehlen (Röm 4, 24; 8, 11; 2 Kor 4, 14). 2. Sterbeformeln • Grundform: „Christus ist für unsere Sünden gestorben“ (Röm 5, 8; vgl. auch 5, 6; 14, 15; 1 Kor 8, 11). • Hingabe- oder Selbsthingabeformel (Röm 8, 32; Gal 1, 4; Eph 5, 2). 3. Formeln von Tod und Auferweckung • in knapper Nebeneinanderstellung: (Christus), der gestorben und auferweckt ist (z. B. Röm 8, 34; 14, 9; 1 Thess 4, 14). • stärker ausgestaltet, wie in 1 Kor 15, 3 b-5 (vgl. auch Röm 4, 25; 2 Kor 13, 4). 15
Einleitung in das Neue Testament II Evangelien und Apostelgeschichte 1 Kor 15, 3 b– 5 a b c • • • Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß den Schriften, und ist begraben worden. Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäß den Schriften, und erschien dem Kephas, dann den Zwölf. In der ersten Zeile (a, a) geht es jeweils um ein Ereignis, das in der zweiten (b, b) als schriftgemäß bezeichnet wird, ehe die dritte Aussage (c, c) die erste bestätigt. Die verschiedenen Zeilen haben also nicht dasselbe Gewicht. Im Zentrum der Formel stehen Tod und Auferweckung Jesu. Der Tod wird bekräftigt durch den Hinweis auf das Begräbnis: Jesus ist wirklich gestorben; die Erscheinungen unterstreichen die Wirklichkeit der Auferweckung. Der parallele Aufbau macht die Zusammengehörigkeit von Tod und Auferweckung deutlich. Die Deutung des Todes Jesu als „für unsere Sünden“ geschehener Tod kann vom Horizont der Auferweckung aus erfolgen. Auf der anderen Seite wäre ohne den Blick auf das Kreuz die Auferstehung nicht recht verstanden. 16
Einleitung in das Neue Testament II Evangelien und Apostelgeschichte 1 Kor 15, 3 b– 5 a b c • • Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß den Schriften, und ist begraben worden. Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäß den Schriften, und erschien dem Kephas, dann den Zwölf. Der Hinweis auf die Schriftgemäßheit von Tod und Auferweckung ordnet das Heilsgeschehen in Christus in die Heilsgeschichte ein und soll zeigen, dass sich in ihm die Verheißungen Gottes erfüllen. Ein Bezug auf bestimmte Schriftstellen ist aber nicht ohne Weiteres zu erkennen. Im Hintergrund der Vorstellung vom Sühnetod Jesu dürfte vor allem Jes 53 (der leidende Gottesknecht) stehen. Für die Erklärung der Zeitangabe der Auferweckung „am dritten Tag“ werden verschiedene Lösungen vorgeschlagen. Am ehesten ist an eine Anspielung auf Hos 6, 2 zu denken (rettendes Eingreifen Gottes für Israel am dritten Tag), wenn man überhaupt eine bestimmte Schriftstelle als Bezug annehmen will. 17
Einleitung in das Neue Testament II Evangelien und Apostelgeschichte Bekenntnisse Sie formulieren die gegenwärtige Würdestellung des erhöhten Herrn, des Sohnes Gottes. Die Glaubenden erkennen seine Bedeutung an und unterstellen sich ihm (z. B. 1 Kor 8, 6): Aber wir haben einen Gott, den Vater, aus dem alles ist und wir auf ihn hin, und einen Herrn, Jesus Christus, durch den alles ist und wir durch ihn. 18
Einleitung in das Neue Testament II Evangelien und Apostelgeschichte Das Faktum der mündlichen Überlieferung Direkte Hinweise • Das Vorwort des Lk. Ev (Lk 1, 1 -4) spricht nur davon, dass es schon Erzählungen vom Wirken Jesu gegeben habe; es bezieht sich auf Überlieferungen (von Augenzeugen). „Überlieferung“ ist ein Fachbegriff zur Bezeichnung mündlicher Weitergabe. • Zwar übertreibt Joh 21, 25, kann aber dennoch bezeugen, dass das verschriftlichte Jesus. Gut auf eine Auswahl aus mündlichen Überlieferungen zurückgeht. • Jesus-Überlieferung ist nach der Abfassung der Evangelien mündlich weitergegeben worden (sicher bezeugt v. a. durch Papias von Hierapolis). Dann ist zu folgern, dass auch vor der Abfassung eine mündliche Überlieferung bestand – eine Überlieferung, die durch die Verschriftlichung nicht einfach beendet wurde. 19
Einleitung in das Neue Testament II Evangelien und Apostelgeschichte Indirekte Hinweise • Die rabbinische Tradition zeigt: Das Urchristentum entstammt einem Milieu, das mündliche Überlieferung kannte. • Die synoptischen Evangelien (Mt, Mk, Lk) sind aus kleinen Einheiten zusammengesetzt, die oft einem bestimmten Aufbauschema folgen. Der Stoff trägt in erster Linie nicht die individuelle literarische Handschrift eines Schriftstellers; das Material ist vielmehr schon geprägt, ehe es in die Evangelien aufgenommen wurde. Dies weist auf eine mündliche Vorgeschichte des Stoffes. • Seit Beginn der urchristlichen Verkündigung wurde auch von Jesu Worten und Taten erzählt. Dann dürfte zunächst auch Mündlichkeit des entscheidende Medium gewesen sein. Die Fähigkeit zu lesen kann ja für die damalige Zeit nicht allgemein vorausgesetzt werden. 20
Einleitung in das Neue Testament II Evangelien und Apostelgeschichte Die Position der „klassischen“ Formgeschichte Die Entdeckung mündlicher Tradition war das Verdienst der sogenannten Formgeschichte, einer forschungsgeschichtlichen Phase, die in den 20 er Jahren des 20. Jh. aufkam (nach dem Scheitern der liberalen Leben-Jesu-Forschung) und vor allem mit den Namen Rudolf Bultmann und Martin Dibelius verbunden ist. Sie erhob Geprägte Formen Dies sind in verschiedenen Texten wiederkehrende Aufbauschemata, auch Gattungen genannt (>). Diese geprägten Formen wurden einem bestimmten „Sitz im Leben“ zugewiesen. Damit ist gemeint: typische, wiederkehrende Situationen im Leben einer Gemeinschaft, institutionalisierte Handlungen, die prinzipiell wiederholbar sind. In der urchristlichen Überlieferung gab es verschiedene Gattungen für Mission, Gottesdienst, Unterweisung oder Auseinandersetzung mit Außenstehenden. Grundgedanke: Es gibt einen Zusammenhang zwischen der sprachlichen Gestaltung und der Funktion eines Textes. > Das können wir auch heute beobachten: Texte, die informieren sollen, werden anders gestaltet als solche, die werben oder unterhalten. > 21
Einleitung in das Neue Testament II Evangelien und Apostelgeschichte Modifikationen der „klassischen“ Position • Abzulehnen ist die Annahme, am Beginn der Überlieferung hätte die reine Form gestanden, die im Laufe der Weitergabe überformt und verändert wurde. So kann man zwar nicht den Wortlaut der mündlichen Überlieferung rekonstruieren, aber doch grundlegende Strukturen und Sequenzen, Motive und Erzählelemente aus einem Vergleich verschiedener Texte herausfiltern. • Es gibt zwar keine festen Überlieferungsgesetze, aber doch relativ allgemeine Tendenzen und spezielle des jeweiligen Evangelisten. Aus ihnen kann man begründete Vermutungen über die mündliche Vorgeschichte folgern. • Der „Sitz im Leben“ wird heute nicht nur über die Gattung allein bestimmt, sondern nimmt auch Beobachtungen aus dem konkreten Einzeltext auf. 22
Einleitung in das Neue Testament II Evangelien und Apostelgeschichte Gattungen in der Jesus-Überlieferung I. Worttradition 1. Weisheitsworte a) indikativisch (z. B. Mk 2, 17 a; 7, 15; 2, 19; Mt 11, 11) b) imperativisch (z. B. Lk 6, 31; Mk 8, 34; Mt 6, 19) 2. Prophetische Worte a) Heilsverheißung (z. B. Mt 10, 7; 5, 1 -12) b) Drohworte (z. B. Mt 11, 21; 23, 13) c) Weissagung (Mk 13, 2; 13, 31; 14, 25) 3. 4. Ich-Worte/Selbstaussagen (z. B. Mt 8, 20; Mk 2, 17 b) 5. Gebet (keine Gattung, aber eigene Sprachform, z. B. Mt 6, 9 -13) Gleichnisse a) Gleichnis im engeren Sinn (z. B. Mk 4, 26 -29; Lk 15, 8 f) b) Parabel (z. B. Mt 18, 23 -35; Lk 15, 11 -32) c) Beispielerzählung (z. B. Lk 10, 30 -37; 12, 16 -21; 18, 9 -14) 23
Einleitung in das Neue Testament II Evangelien und Apostelgeschichte II. Erzähltradition 1. Apophthegmen/Chrien a) Streitgespräche (z. B. Mk 2, 15 -17; 2, 18 -22; 2, 23 -28) b) Schulgespräche (z. B. Mk 10, 13 -16; 10, 35 -45) c) Biographische Apophthegmen (z. B. Mk 3, 31 -35; 14, 3 -9) 2. Wundergeschichten a) Heilungswunder (z. B. Mk 1, 29 -31; 7, 31 -37) b) Exorzismen (z. B. Mk 1, 21 -28; 5, 1 -20) c) Geschenkwunder (z. B. Mk 6, 35 -44) d) Rettungswunder (z. B. Mk 4, 35 -41) e) Epiphaniewunder (z. B. Mk 6, 45 -52) f) Normenwunder (z. B. Mk 3, 1 -6) 3. Passionsgeschichte (Mk 14 -16; Mt 26 -28; Lk 22 -24; Joh 18 -20) 4. Sonstige Erzähl-Gattungen (sehr unterschiedliche Klassifizierungen in der Literatur, nicht immer lässt sich beim verbleibenden Stoff von geprägten Gattungen ausgehen. Bisweilen, wie in den Kindheitsgeschichten, sind auch Elemente verschiedener Gattungen zu neuen Einheiten verbunden oder Erzählmotive aufgegriffen, ohne dass Aufbau und Struktur geprägt gewesen wären. ) 24
Einleitung in das Neue Testament II Evangelien und Apostelgeschichte Das synoptische Problem ergibt sich aus einem doppelten Befund: 1) Die drei ersten Evangelien stimmen überein • in Grobaufriss, • in der Anordnung einzelner Abschnitte • und z. T. auch im Wortlaut. 2) Auf der anderen Seite weisen sie aber auch erhebliche Unterschiede auf • in Aufriss und Inhalt, • in der Anordnung des Stoffes, • innerhalb vergleichbarer Perikopen. Dieses Nebeneinander von Gemeinsamkeiten und Unterschieden fordert die Frage nach dem gegenseitigen literarischen Verhältnis von Mt, Mk und Lk heraus: die synoptische Frage. Der Befund fällt umso mehr auf, als das Joh. Ev nicht einbezogen werden kann. Hier überwiegen die Unterschiede zu Mt, Mk und Lk bei weitem die Gemeinsamkeiten. 25
Einleitung in das Neue Testament II Evangelien und Apostelgeschichte Gemeinsamkeiten zwischen Mt, Mk und Lk Grobaufriss • Täuferwirken, Taufe und Wüstenaufenthalt Jesu zu Beginn • Schwerpunkt der Wirksamkeit in Galiläa, in der Dauer nicht näher bestimmt • Zug nach Jerusalem, kurzes Auftreten dort, dann Passion Jesu und Auferweckungsbotschaft im Grab Reihenfolge einzelner Abschnitte Beispiel: Mk 2, 1 ff • Heilung eines Gelähmten Mk 2, 1 -12 • Berufung/Zöllnergastmahl Mk 2, 13 -17 • Frage nach dem Fasten Mk 2, 18 -22 • Ährenraufen am Sabbat Mk 2, 23 -28 Mt 9, 1 -8 Lk 5, 17 -26 Mt 9, 9 -13 Lk 5, 27 -32 Mt 9, 14 -17 Lk 5, 33 -39 Lk 6, 1 -5 26
Einleitung in das Neue Testament II Evangelien und Apostelgeschichte Wortlaut Mt 9, 6 Mk 2, 10 Lk 5, 24 „Damit ihr aber seht, dass Vollmacht hat der Menschensohn, auf der Erde nachzulassen Sünden“ – dann sagt er dem Gelähmten. . . „Damit ihr aber seht, dass Vollmacht hat der Menschensohn, nachzulassen Sünden auf der Erde“ – sagt er dem Gelähmten. . . „Damit ihr aber seht, dass der Menschensohn Vollmacht hat, nachzulassen Sünden“ – sagte er dem Lahmen. . . 27
Einleitung in das Neue Testament II Evangelien und Apostelgeschichte Unterschiede zwischen Matthäus und Lukas Aufriss und Inhalt • „Kindheitsgeschichten“ gibt es nur bei Mt und Lk – mit ganz unterschiedlichen Inhalten; dasselbe gilt für die Erscheinungserzählungen am Ende. • Die Bergpredigt in Mt 5 -7 hat bei Lk nur ein viel kürzeres Pendant (Lk 6, 20 -49), bei Mk gar keines. • Jeder Evangelist bietet Sondergut: Stoffe, die sich nur in seinem Evangelium finden (z. B. Mk 4, 26 -29; Mt 20, 1 -16; 25, 31 -46; Lk 10, 30 -37; 15, 11 -32). Reihenfolge einzelner Abschnitte Beispiel I: Auftreten Jesu in seiner Heimatstadt • bei Lk zu Beginn des Wirkens Jesu (4, 16 -30); • bei Mk und Mt nach einer längeren Phase des Wirkens (Mk 6, 1 -6 a; Mt 13, 53 -58). Beispiel II: Berufung der ersten Jünger • bei Mk und Mt zu Beginn des Wirkens Jesu (Mk 1, 16 -20; Mt 4, 18 -22); • bei Lk erst, als Jesus schon als Wundertäter bekannt ist (Lk 5, 1 -11; s. 4, 41 -44). Beispiel III: Bergpredigt • Vieles von dem Material, das bei Mt in der Bergpredigt erscheint, begegnet im Lk. Ev verstreut über die Kapitel 6 -16. 28
Einleitung in das Neue Testament II Evangelien und Apostelgeschichte Unterschiede innerhalb vergleichbarer Perikopen Beispiel I: Stammbaum Jesu nach Mt und Lk • bei Mt von Abraham bis Jesus; • bei Lk von Jesus zurück bis zu Adam bzw. Gott. Schon beim Vater Josefs beginnen die Differenzen (Mt: Jakob; Lk: Eli). Beispiel II: Gleichnis vom großen Gastmahl • Mt und Lk setzen denselben Stoff voraus, gestalten ihn aber unterschiedlich – nicht nur in Details. Beispiel III: Die letzten Worte Jesu • Sind bei Mt und Mk dem Beginn von Ps 22 entnommen, Jesus stirbt mit einem Schrei; • nach Lk sind die letzten Worte Jesu ein vertrauensvolles Gebet: Ps 31, 6. > 29
Einleitung in das Neue Testament II Evangelien und Apostelgeschichte Ältere Lösungen des synoptischen Problems Urevangeliums-Hypothese Die synoptischen Evangelien sind entstanden auf der Grundlage eines aramäischen Urevangeliums, das ins Griechische übersetzt und mehrere Male bearbeitet wurde. Problem: Bezug auf eine hypothetische Größe; die Behauptung mehrerer Bearbeitungen ist willkürlich; die Unterschiede zwischen den Evangelien in Inhalt und Aufbau werden nicht erklärt. Ertrag: Den Evangelien ist ein längerer Traditionsprozess auch literarischer Art vorausgegangen. Fragmenten-Hypothese Die synoptischen Evangelien gehen zurück auf eine Sammlung von Einzelaufzeichnungen (zu Wundern, Worten Jesu, zur Passion); sie sind das Endstadium dieses Sammlungsvorgangs. Problem: Die Übereinstimmungen zwischen den Synoptikern werden nicht wirklich erklärt, wenn man sich auf eine Vielzahl von Texten bezieht. Ertrag: In den Evangelien ist Traditionsgut verschiedener Herkunft verarbeitet. 30
Einleitung in das Neue Testament II Evangelien und Apostelgeschichte Traditions-Hypothese Den synoptischen Evangelien ging ein mündlich überliefertes Urevangelium voraus, ursprünglich aramäisch, dann ins Griechische übersetzt und in zwei verschiedene schriftliche Formen gebracht. Problem: Die Übereinstimmungen zwischen den Synoptikern werden nicht wirklich erklärt, vor allem nicht die Übereinstimmungen in der Reihenfolge des Stoffs. Ertrag: Den Evangelien ging eine längere Phase mündlicher Überlieferung voraus. Benutzungs-Hypothese Die synoptischen Evangelien sind untereinander direkt literarisch abhängig. Augustinus: Mk benutzt Mt, Lk benutzt Mt und Mk. J. J. Griesbach: Lk benutzt Mt, Mk benutzt Mt und Lk. Problem: Mk kann im Blick auf Stoffumfang und sprachliche Gestalt kein Auszug aus einem der längeren Evangelien sein (erst recht nicht aus beiden). Ertrag: Die Übereinstimmungen sind durch Benutzung zu erklären. 31
Einleitung in das Neue Testament II Evangelien und Apostelgeschichte Die Zwei-Quellen-Theorie erklärt das synoptische Problem mit folgenden Annahmen: 1. Das Mk. Ev ist das älteste Evangelium. 2. Mt und Lk haben es unabhängig voneinander benutzt. 3. Daneben haben Mt und Lk eine Sammlung von Jesus-Worten verarbeitet, die nicht mehr erhalten ist. Sie wird bezeichnet als Redenquelle, Spruchquelle oder meist als Logienquelle (von dem griechischen Wort für „Spruch“: logion). Als Kürzel wird „Q“ verwendet. 4. Neben Mk und Q haben Mt und Lk auf Sondergut zurückgegriffen: Traditionen, die nur jeweils einem der beiden zugänglich waren. Dieses Sondergut lässt sich aber keiner Quellenschicht zuweisen (deshalb spricht man nicht von einer Drei-Quellen. Theorie); es handelt sich um verschiedene Einzelüberlieferungen. 32
Einleitung in das Neue Testament II Evangelien und Apostelgeschichte Mk Q Mt Lk Sondergut 33
Einleitung in das Neue Testament II Evangelien und Apostelgeschichte Argumente für die Zwei-Quellen-Theorie I – Mk-Priorität Reihenfolge des Stoffes Matthäus und Lukas stimmen in der Reihenfolge nur überein, wenn sie auch mit Markus übereinstimmen. Weicht einer von ihnen von der Reihenfolge des Mk. Ev ab, dann stimmt er auch nicht mit dem zweiten verbleibenden synoptischen Evangelium überein. Mk ist in der Reihenfolge des Stoffes die gemeinsame Mitte von Mt und Lk (>). Dies ist dadurch zu erklären, dass Mk die Quelle für Mt und Lk war. Zugleich ergibt sich ein Hinweis darauf, dass Mt und Lk unabhängig voneinander entstanden sind. Stoffumfang Das Mk. Ev geht in den beiden anderen inhaltlich fast vollständig auf. Die Auslassungen, die Markus an Mt- und/oder Lk. Ev hätte vornehmen müssen, wären unerklärlich. Das Mk. Ev ist keine „Zusammenfassung“ der umfangreicheren Evangelien oder eines von ihnen. Sprachlicher und sachlich-inhaltlicher Vergleich Die wörtlichen Übereinstimmungen beweisen einen literarischen Zusammenhang der ersten drei Evangelien. Dass Mt und Lk von Mk abhängig sind und nicht dieser von jenen oder einem von ihnen, ergibt sich aus den zahlreichen sprachlichen und sachlichen Verbesserungen, die Mt und Lk gegenüber Mk aufweisen (vgl. z. B. Mk 2, 16/Mt 9, 11; Mk 4, 38/ Mt 8, 25; Mk 6, 5 f/Mt 13, 58). 34
Einleitung in das Neue Testament II Evangelien und Apostelgeschichte Argumente für die Zwei-Quellen-Theorie II – Logienquelle Stoffumfang Mt und Lk haben über Mk hinaus einen gemeinsamen Stoff von ca. 230 Versen, z. T. wörtlich übereinstimmend. Eine literarische Abhängigkeit zwischen Mt und Lk lässt sich nicht erweisen, weder sprachlich noch im Blick auf Stoffumfang und -gestaltung. Das umfangreiche Sondergut des Lk. Ev wäre unerklärlich (warum sollte Mt diese Stoffe alle ausgelassen haben? ); umgekehrt müsste Lk, wenn er denn das Mt. Ev benutzt haben sollte, die großen Redekompositionen zerschlagen haben. Der gemeinsame Stoff über Mk hinaus ist also durch eine Quelle vermittelt. Dubletten und Doppelüberlieferungen • Dubletten sind Texte, die ein Evangelist zweimal hat (einmal mit Mk parallel, einmal mit Mt bzw. Lk). Beispiel: Mt 16, 4/Mk 8, 11 f – Mt 12, 38 -42/Lk 11, 29 -32. • Mit „Doppelüberlieferungen“ werden Texte bezeichnet, die zwei Evangelisten zweimal haben, einmal im Mk-Zusammenhang, einmal nur Mt und Lk. Beispiel: Mt 13, 12/Mk 4, 25/ Lk 8, 18 – Mt 25, 29/Lk 19, 26. Mk kennt nur eine Dublette (9, 55 b/10, 43 f). Die vergleichsweise vielen Doppelbezeugungen bei Mt und Lk erklären sich am besten durch Benutzung einer weiteren schriftlichen Quelle neben Mk: Aus ihr wurde ein Spruch auch dann übernommen, wenn er bereits bei Mk zu finden war. 35
Einleitung in das Neue Testament II Evangelien und Apostelgeschichte Reihenfolge des Stoffes • Kein eindeutiges Argument für die Existenz einer Mt und Lk gemeinsamen schriftlichen Quelle ergibt sich aus der Reihenfolge des Stoffes, den Mt und Lk über Mk hinaus gemeinsam haben: nur zum Teil finden sich Übereinstimmungen. • Allerdings haben Mt und Lk den fraglichen Stoff in ganz unterschiedlicher Weise in den Mk. Faden eingeordnet (Mt: v. a. Redekompositionen; Lk: v. a. zwei Einschaltungen in 6, 20 -8, 3 und 9, 51 -18, 14). Angesichts dieser unterschiedlichen Verfahrensweisen sind die vorfindbaren Differenzen in der Reihenfolge nicht so auffallend wie die auch vorhandenen Übereinstimmungen. 36